Vorspiel. Mein persönliches Unwort

von | 23. Aug.. 2025

Es gibt Wörter im alltäglichen Sprachgebrauch, die ergeben für mich total Sinn.
Fragt mich jemand im Restaurant: „Isst du heute eine Vorspeise?“ klar, da gehe ich mit. Ich kann ja oder nein sagen; es ist eine zusätzliche Option.

Aber beim Sex? Da hört es für mich auf.
„Vorspiel“ klingt so, als gäbe es ein Spiel davor und dann erst das „eigentliche Spiel“. Als wäre alles, was an Nähe, Berührung, Abschlecken, Blicken, Saugen, Lecken, Küssen oder Spüren passiert, nur Beiwerk.

Und genau das ist der Punkt, an dem mich dieses Wort innerlich jedes Mal stolpern lässt.

Vorspiel beim Sex ist kein Extra

Das Wort „Vorspiel“ erweckt den Eindruck, man solle entscheiden: heute ja, morgen nein. Dabei gehört genau das einfach zum Sex dazu.

Berührungen, Lust, sich gegenseitig entdecken; das sind keine Zugaben, die man optional weglassen oder dazu buchen kann. Das ist Sex.

Natürlich gibt es Momente, in denen es wild, schnell und ohne großes Drumherum sein darf. Ich habe überhaupt nichts gegen Quickies (ich bin im Eltern-Game. Zeit ist kostbar!); ganz im Gegenteil. Doch selbst dann gibt es Berührung, Kontakt, Präsenz. Blicke im Vorfeld, einen Reizauslöser… womit wir beim Kern der Sache sind: Nähe ist kein Vorspiel!

Sex ist mehr als Penetration

Das klassische heteronormative Bild von Sex hält sich immer noch erstaunlich hartnäckig: Penis in Vagina, Orgasmus, fertig.
Alles, was davor passiert, wird in dieses unscheinbare Kästchen „Vorspiel“ gesteckt. Alles, was dem nicht entspricht, ist kein ‚richtiger‘ Sex. (wer zum Geier entscheidet überhaupt, was ‚richtiger‘ Sex ist und was nicht?)

Sex ist so viel mehr.

Sex kann Zunge, Finger, Haut, Atem, Stimme, Energie sein.
Sex kann mit mir alleine sein.
Sex kann ein langer Blickkontakt sein, ein Kuss im Nacken, ein Stöhnen ins Ohr.
Sex kann das gemeinsame Ausziehen sein, das sich Verlieren in einer Umarmung, das Lachen mitten im Küssen.

Und ja: Penetration kann ein Teil davon sein. Aber sie ist kein Muss. Sie ist nicht der heilige Gral, auf den alles hinauslaufen muss. Wenn wir „Vorspiel“ als Extra betrachten, zementieren wir dieses enge Bild von Sex, an dem so viele Menschen festhalten und das sie so unzufrieden macht.

Das Wort „Vorspiel“ wird Nähe nicht gerecht

Worte prägen unsere Realität. Und „Vorspiel“ ist eines dieser Worte, das etwas degradiert, das eigentlich zentral ist.

Wenn wir Nähe, Berührung, Intimität als „Vorbereitung“ begreifen, dann nehmen wir ihr den Wert. Dann wird es etwas Funktionales: „Wir müssen das machen, damit sie feucht wird / er hart bleibt / wir irgendwann endlich ‚richtig‘ loslegen können.“

So wird aus Nähe Druck.
So halten wir Lust klein.
So begrenzen wir Sex auf Leistung.

Und genau da will ich den Finger hineinlegen: Können wir bitte aufhören, so zu denken?

Zeit, Sex neu zu definieren

Für mich beginnt Sex nicht erst mit Penetration und er endet auch nicht mit dem Orgasmus.
Sex ist fließend.

Sex steht für Neugier, für Genuss, für Spaß.
Für einen Raum, in dem Nähe und Berührung nicht Mittel zum Zweck sind, sondern der Kern.

Genau deshalb finde ich es so wichtig, Sprache bewusst zu wählen.
Wenn wir das Wort „Vorspiel“ streichen, dann streichen wir auch diese künstliche Trennung. Dann machen wir aus Sex keinen Ablaufplan mit „erst dies, damit dann das“, sondern erlauben uns, das Ganze als ein einziges, großes Spielfeld zu erleben.

Einblick in meine Arbeit

Natürlich verstehe ich, was mit dem Wort „Vorspiel“ gemeint ist und in welchem Kontext es verwendet wird.
Und genauso klar ist mir: Jeder Mensch hat seine ganz persönliche, ureigene Definition von Sex und davon, was dazugehört.

Genau deshalb ist eine meiner ersten Fragen in der Begleitung immer:
„Was ist Sex für dich?“ (vielleicht magst du diesen Artikel dazu lesen als weitere Inspiration: Sex. )

Allein diese Frage öffnet oft einen Raum, weil viele Menschen plötzlich merken: „Stimmt, ich hab da eigentlich nie so bewusst drüber nachgedacht. Ich hab’s einfach übernommen; so, wie man es halt kennt.“

Und während ich diesen Artikel schreibe, weiß ich: Es wird künftig noch eine zweite Frage geben, die genauso wichtig ist:
„Was bedeutet Vorspiel für dich?“

Denn das ist der Moment, in dem klar wird, welche Bilder wir unbewusst mit uns herumtragen.
Ist Vorspiel für dich ein lästiger Pflichtteil, den man abkürzen will? Ein romantisches Extra? Oder schon Teil von Sex, so wie ich es sehe?

In meinen Sessions entstehen genau hier oft die spannendsten Gespräche. Weil Paare oder Einzelne plötzlich merken: „Wir reden gar nicht von derselben Sache.“ Und erst, wenn diese Klarheit da ist, gibt es wieder Platz für Lust, für Berührung und für echtes Kribbeln.


Und wie schön ist es, als Paar seine eigene Sprache zu entwickeln, die viel passender ist?

Aus dem Nähkästchen: Natürlich gibt es auch in meiner Partnerschaft Tagesformen, wo viel Anspannung im Körper ist. Lust ist da, aber der Switch, den Alltag loszulassen und im Körper zu landen, ist schwerer als sonst. Also hat sich bei uns die BodyConnection entwickelt. (Shoutout an den Mann, für diese Schöpfung). Das ist ein Spezial Treatment, was mich erdet, verbindet (mit mir, mit ihm). Es gibt ein spezielles Setting, was meinem Körper schon ein entspannendes Aaah entlockt.

Für manche ist das vielleicht besagtes Vorspiel. Für uns ist es eben ein Teil und eine Variante des Sex, den wir leben, über den wir sprechen und den wir erforscht haben.

Fazit

„Vorspiel“ ist für mich ein Unwort, weil es degradiert, was zentral für lebendigen Sex ist.
Es suggeriert, Intimität sei optional. Als könne man sie überspringen, um endlich „zum Punkt“ zu kommen.

Aber Sex ist kein Punkt. Sex ist ein bewegliches Feld.
Für mich ist klar: Nähe, Lust, Berührung, das alles ist Sex.

Und je eher wir uns trauen, Sex neu zu definieren, desto mehr Freiheit, Genuss und echtes Kribbeln holen wir in unsere Beziehungen zurück.

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3 Kommentare

  1. Angela Carstensen

    Es ist wirklich erstaunlich, wie lange sich dieser Begriff gehalten hat. Willkommen im 21.sten Jahrhundert, aber echt. Danke für deine klare Haltung!

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    • Sarah

      Sehr gern und es freut mich, dass meine Haltung da auch in dir Anklang findet.

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  2. Julia Seifried

    Ich mag Deine Meinung und dass Du sie mit uns teilst. Ein neuer Blickwinkel, eröffnet ganz neue Welten und lässt ganz viel Raum, das Thema selbst zu entdecken.

    Als ich davon das erste Mal gehört habe, hat es sich für mich genau so angefühlt, ganz viele Möglichkeiten, kein feststecken in irgendwelchen „Akten“ sondern, Freiheit und Selbstbestimmung.

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